Ehemals gute Prozesse vernichten in der digitalen Welt ökonomischen Wert

Dr. Steffen Roehn bringt es auf den Punkt: Die klassischen RfP-Prozesse führen in vielen Fällen zu schlechten Ergebnissen, vor allem in der neuen Welt von Digitalisierung, Software, Open Source und Cloud. Die Chefs von Einkauf und Technologie müssen radikal umdenken.

Seien Sie ehrlich: Wie oft haben Sie Ihre internen „Request for Proposal“-Prozesse verflucht? Wie viele Jahre Ihres Berufsleben haben Sie verschwendet, um schlechte Technologie-Entscheidungen nach RfPs wieder aufzuräumen?

Wenn ich mit Kollegen aus der IT oder Technologie spreche, höre ich immer wieder das gleiche Lied: Die bestehenden RfP-Prozesse behindern ihre Arbeit, verhindern Innovationen und führen in aller Regel zu schlechten Technologie-Entscheidungen.

Warum ist das eigentlich so?

RfP-Prozesse bestehen auf den Grundannahmen, dass

  1. der perfekte Zielzustand präzise beschrieben werden kann (die „Anforderungen“),
  2. viele verschiedene potenzielle Anbieter wettbewerbsfähige UND vergleichbare Angebot stellen können,
  3. und so eine echte Verhandlungssituation zum Vorteil des einkaufenden Unternehmens erzeugt wird;
  4. dass eine echte „Investition“ in Software, also der Kauf eines Aktivpostens in der Bilanz, möglich ist inkl. anschließender Kapitalisierung und Abschreibung über 3-10 Jahre.

In der heutigen Welt von Digitalisierung, Hyper-Wettbewerb, aggressiver Agilität, Cloud und SaaS müssen alle vier Grundannahmen auf den Prüfstand:

  1. „Perfekte“ Lösungen zu einem gewissen Zeitpunkt sind gar nicht mehr „perfekt“ in der Zukunft. Neue Marktteilnehmer wachsen um Faktoren 10, 100 oder mehr als 1.000 in nur einem Jahr, neue Ökosysteme und Plattformen entstehen und verschwinden wieder. Kundenerwartungen steigern sich täglich mit jeder coolen App oder neuem Device. Somit ist die Idee von „Anforderungen“, die lange genug Bestand haben, tot. Das macht die erste Grundannahme zunichte.
  2. In der Tat gibt es viele Marktteilnehmer. Aber diese haben über Jahrzehnte des RfP-Prozesses hinweg gelernt, diesen für ihre Zwecke zu nutzen. Sie machen ihre Lösungen möglichst unvergleichbar und bringen die hohe Schule der „Change Request“ gleich auch noch mit ein. Und die wirklich innovativen neuen Unternehmen investieren ihre wertvolle Zeit und Ressourcen lieber in konkrete Kundenprojekt als in das Beantworten von RfPs. Somit wird Innovation durch den RfP-Prozess in Wirklichkeit systematisch verhindert. Es gibt am Ende keine innovativen, keine guten und keine vergleichbaren Angebote mehr und damit ist die zweite Grundannahme beerdigt.
  3. Einkauf gehört heute zu den best ausgeprägtesten Disziplinen im Unternehmen. Im Einkauf werden die Unternehmensprozesse exzellent verstanden, gleiches gilt für die Anbieterszene und die Marktdynamik. Natürlich kennt sich der Einkauf auch bestens in den einkaufenden Technologieeinheiten aus. Aber diese Stärken kommen auf einmal nicht mehr zum Tragen, weil es keine wirklichen Verhandlungspositionen mehr gibt. Im Gegenteil: Für die wirklich innovativen neuen Technologien muss man aktiv kämpfen und werben. Damit verschwindet die dritte Grundannahme.
  4. Es ist natürlich aus finanzwirtschaftlicher Sicht gut, aus Opex Capex zu machen. Aber leider ist es bei dem Sourcen von Software genau das Falsche: Heute kann (muss) sich ein Technologie-Chef aus einer riesigen Palette von SaaS, Cloud, opensource etc. bedienen. In vielen Fällen erwirbt man damit aber nicht einen Aktivposten in der Bilanz, sondern ein Nutzungsrecht an einem Service. Also muss der Auswahl-Prozess vielmehr Dinge wie Skalierbarkeit, Konfigurationsmöglichkeiten, Sicherheit und Datenschutz berücksichtigen. Heutige RfP-Prozesse können das nicht gut. Damit verabschiedet sich auch die letzte Grundannahme.

Was machen wir denn jetzt?

Die obige Thematik habe ich mit vielen anderen C-Level Executives diskutiert, die ich u.a. beim TM Forum treffe. Wir haben vereinbart, dass wir alle gemeinsam nach neuen und disruptiven Ansätzen in der Welt schauen wollen. Das ist im Interesse sowohl der Technologie-Käufer als auch der -Anbieter! Nik Willetts und Mark Newman vom TM Forum verantworten diese Research-Studie und haben schon einige gute Ansätze identifiziert.

 

Diskutieren Sie mit uns, bringen Sie Ihre Erfahrungen hier mit ein und lassen Sie uns Ihre Vorschläge hören …